Ein ganz besonderes Label
Ein Interview mit Detlev Hoegen von Bear Family Records

Wer oder was ist Bear Family Records?
Detlev Hoegen: Bear Family ist eine in Deutschland gegründete Firma, wir sind nach wie vor hier und nur hier aktiv. Aber was die Materialien, die Geschichte, die wir aufarbeiten angeht sind wir schon sehr, sehr stark mit den USA verbunden.
Was genau veröffentlicht Ihr auf Bear Family?
Detlev Hoegen: Grundsätzlich geht es in unserer Firmenpolitik darum Aufnahmen, die vor langer, langer Zeit mal veröffentlicht worden sind, von Künstlern, zum Teil, die heute völlig unbekannt sind, wieder zugänglich zu machen und zu archivieren und somit ein Stück Zeitgeschichte zu bewahren. Das hat mit unserem Firmengründer 1975 begonnen, wo er gemerkt hat, dass vieles von dem, was man mal in den 60er an Platten kaufen konnte, mittlerweile längst gestrichen war und, dass die große Industrie überhaupt kein Interesse daran hat, diese Sachen im Katalog zu behalten. Er hatte damals einen Versandhandel gegründet für Country Music, Rock’n Roll und Rockabilly also typisch, amerikanische Musikarten und hat dann gemerkt, dass das, was er zur Verfügung gestellt bekommen hat von den Händlern, viel zu klein war. Und ist dann hergegangen, hat sich erkundigt und schlau gemacht und damit begonnen, in Kooperation mit der Industrie, mit den großen Firmen, die die Kataloge verwalteten, Schallplatten neu zu veröffentlichen. Dann hat er gemerkt, dass das sehr spannend ist und, dass es unveröffentlichte Aufnahmen gibt und ist dann immer häufiger in die USA geflogen, hat in Archiven wirklich gewühlt, gut Zugang bekommen, viele Leute kennengelernt und hat so auch Schätze heben können, die bis dahin vollkommen unbekannt waren. Aber sein Ziel, und auch das Ziel von uns heute, nach über 40 Jahren Bear Family Geschichte, ist es immer noch, das zu bewahren, was irgendwann für die Entwicklung der Musik mal ganz, ganz wichtig war.
Wie entsteht denn bei Euch ein Thema, eine musikalische Projektidee?
Detlev Hoegen: Es gibt verschiedene Wege, die zu Bear Family führen. Das eine und im Grunde der häufigste Weg ist, dass uns Projekte angetragen werden. Es gibt Historiker, Ethonologen, Musikwissenschaftler, Sammler da draußen in der Welt, die ein Faible entwickelt haben für ein ganz bestimmtes Thema, jahrelang Materialien zusammen getragen haben, das archiviert haben und nun sichten und denken, ja, das ist doch so wichtig und so ein tolles Thema, das sollte man doch mal veröffentlichen. Und dann stellt sich ganz schnell die Frage, wer soll das denn veröffentlichen. Viele fragen dann bei der Industrie, also den großen Firmen an, die es noch gibt. Bei einigen kleinen, aber die meisten winken ab und sagen, das können wir gar nicht realisieren, davon kann man nicht genug verkaufen, das ist zu aufwendig, viel zu kompliziert und interessiert auch nur eine Minorität, das ist nichts für uns. Und viele von denen, die sich für ganz spezielle Randthemen interessieren, landen mehr oder weniger schnell bei Bear Family. Das ist ja heute nicht mehr so kompliziert, das heißt, wenn man irgendetwas sucht und man sucht vielleicht Gleichgesinnte im großen Netz, dann stösst man schon auf Bear Family. Viele Themen, die an uns heran getragen werden sind wirklich spannend, manche davon haben es schon selber realisiert zuvor oder in anderer Form veröffentlicht. Aber es gibt immer wieder größere Themen, die für uns auch Neuland bedeuten. Und wenn es sich dann um bestimmte Themen handelt, Ecken handelt in der Musikwelt, die wir überhaupt noch nicht abgedeckt haben, dann sind wir gerne bereit da auch mal genauer drauf zu schauen und daraus sind schon viele spannende Projekte entstanden.
Wie reagieren eigentlich die Künstler, denen Ihr eine umfangreiche Retrospektive widmet?
Detlev Hoegen: Da muss man natürlich etwas kucken, wer von den Country Musikern aus den 40er, 50er Jahren, also aus der ursprünglichen Zeit dieser Musik erlebt denn noch eine Bear Family Box, wenn die auf den Markt kommt. Es gibt sehr, sehr viele positive Reaktionen, nehmen wir mal ein populäres Beispiel, Johnny Cash z.b. hat seine Plattenfirma, ich glaube, es war Columbia, gefragt: sagt mal, warum macht ihr mit meinem Material nicht auch so tolle Boxen, wie Bear Family das kann? Das war für uns natürlich ein ganz großes Lob. Ich denke, bei den Musikern selbst kommt so eine Retrospektive, wie wir sie machen, in der Regel sehr gut an. Es gibt auch kritische Stimmen, das sollte man auch durchaus sagen, die Frage, ob man nun jede jemals aufgenommene Version von einem Song, dann nochmal später veröffentlichen sollte oder nicht, das ist schon eine Frage, die bei manchen Musikern eher zu Unmut geführt hat. Aber in der Regel ist die Resonanz auf das, was Bear Family tut auch bei den Musikern, die es noch erleben, sehr, sehr gut.
Kann ich mir Eure Arbeit so vorstellen, dass Ihr wirklich durch Archive forstet, auf der Suche nach dem verlorenen Tape?
Detlev Hoegen: So kann man sich das vorstellen, ich bin selber mit Richard in den frühen 80er Jahren in die USA geflogen und habe dann den ganzen Tag in einem fensterlosen Raum im 27. Stock, irgendwo an der 5th Avenue gestanden, wo CBS damals ein Headoffice hatte und habe Unterlagen von Aufnahmen kopiert. Stundenlang, bis mir von dem Kopierergeruch irgendwann schlecht wurde. Und diese Aufnahmen sind letztzlich dann auch der Pfad zu den Mastertapes. Man muss sich das so vorstellen, dass die amerikanische Industrie ganz, ganz viele Aufnahmen in den 50er und 60er Jahren gemacht hat, die nicht veröffentlicht worden sind, die archiviert worden sind, manchmal korrekt, oftmals aber auch falsch beschriftet und in irgendwelchen Archivräumen, Lagerräumen dann ein Dasein fristen. Es gab damals zumindest Verwalter in diesen Archiven, ähnlich wie bei Rundfunkarchiven auch in Deutschland, die dann auf Wunsch von Richard oder auch von anderen, die Originalbänder gesucht haben. Manchmal gefunden haben, manchmal auch nicht. Richard Weize konnte und kann sehr hartnäckig sein und irgendwann hat er dann bei den meisten offene Türen eingerannt und hat sich dann selber in den Archiven auf die Suche begeben können und wirklich auch einiges Unveröffentlichtes und Spannendes gefunden. Das natürlich ganz legal war und ist im Eigentum der Firma geblieben, aber zumindest gab es dann die Möglichkeit, das auf Bear Family zu veröffentlichen.
Eine Bear Family Box ist ja wie ein Ritterschlag für einen Musiker. Woran liegt das?
Detlev Hoegen: Das sind viele verschiedene Faktoren. Ich glaube es ist bei uns zum einen die Akribie und die Leidenschaft möglichst perfekt zu arbeiten. Das fängt damit an, dass wir die Themen sehr sorgfältig aussuchen. Und es geht dann in jedem weiteren folgenden Schritt seinen Weg. Die besten möglichen Quellen für die Aufnahmen müssen gesucht werden, oftmals sind die Originalbänder verschwunden, sind bei einem Feuer verbrannt oder gestohlen worden. Dann muss man sich auf gut erhaltene Kopien stützen, da gibt es Quellen, zum Beispiel in Studios oder bei ehemaligen Mitarbeitern. Also, man muss immer versuchen, die bestmögliche Quelle aufzutreiben, von der dann für die neue Veröffentlichung gemastert werden kann. Das setzt sich dann fort in einem ähnlichen Bereich, es geht auch immer darum, dass man die Illustration und die Texte möglichst optimal zusammenstellen kann. Das heißt, man muss sich auf die Suche machen nach Bildern, die zuvor noch nie jemand gesehen hat, vielleicht aus Privatarchiven, von Freunden, von ehemaligen Produzenten. Und dann geht es darum, dass man dieses ganze Konzept von einem Autor in Text kleiden lassen muss, der die Geschichte des Musikers oder des Labels oder einer Ära oder irgendeiner anderen Dokumentation nachvollzieht. Und da haben wir immer das Glück gehabt, dass wir mit sehr, sehr engagierten und versierten Autoren zusammen arbeiten konnten. Das war immer ein Teil des großen Bear Family Konzeptes.
Wie lange dauert es eigentlich, bis es zur Veröffentlichung so eines Projektes kommt?
Detlev Hoegen: Jahre, viele Jahre manchmal. Es gibt sicherlich Projekte, gerade wenn es um die Bear Family Boxen geht, das sind eigentlich die Projekte, für die unsere Firma am meisten bekannt ist. Wenn es darum geht, wirklich umfassend eine Musikerbiographie oder die Geschichte eines Labels zu dokumentieren, dann kann das schon Jahre, manchmal sogar mehr als zehn Jahre dauern, bis das dann von der eigentlichen Konzeption zur Veröffentlichung gereift ist.
Ihr seid ein einzigartiges Indie-Label, weltweit beachtet, das Erfolg hat. Gibt es für Dich Veröffentlichungen, die ganz besonders sind?
Detlev Hoegen: Das ist auch einzigartig. In der Zeit, in der Bear Family angefangen hat, Boxen zu veröffentlichen, Anfang der 80er Jahre, war das ein vollkommen neues Format. Die Industrie hat sich damit eigentlich nie beschäftigt, weil für die Industrie natürlich das Thema heute produziert, morgen auf den Markt und nach einem Jahr vergessen eigentlich die Prämisse war. Für uns ging es gerade ums Gegenteil. Die Sorgfalt, die hinter diesen Veröffentlichungen steckte, erforderte einfach immer sehr viel Zeit. Das war das eine. Das andere, was ich denke, was Bear Family international nochmal ins Rampenlicht geführt hat, war eine Box, die eigentlich mit dem amerikanischen Thema so gut wie nichts zu tun hatte. Das war eine Veröffentlichung, die nannte sich “Beyond Recall” über Musik des jüdischen Kulturbundes in Berlin unter der Zeit der Nazi-Herrschaft, also Aufnahmen von 1933 bis Ende der 30er Jahre. Eine Zeit, die glaube ich selbst in der jüdischen Biographie oftmals vergessen wurde und wo vielen gar nicht bewusst war, dass eben unter der Herrschaft der Nazis, der jüdische Kulturbund zum Teil noch produzieren und anfangs noch veröffentlichen konnte. Das war ein grosses Projekt mit einem ganz umfangreichen Begleitbuch, was u.a. in Frankreich für viel Furore gesorgt hat. Ich kann mich noch erinnern, dass damals in der Libération eine Doppelseite über dieses Projekt geschrieben wurde. Und sich Bear Family damit erstmals von dem amerikanischen Thema wegentwickelt hat und ein ganz großartiges und wichtiges, internationales Kulturthema aufgegriffen hat. Wichtige Veröffentlichungen darüberhinaus fand ich, und finde ich im Nachhinein immer noch, unsere Box rund um den Vietnamkrieg, wo es darum geht, die populäre Musik der damaligen Zeit zusammenzutragen. Das was damals im Radio gespielt wurde, was wir hier in Europa, was Studenten und junge Leute in Amerika gehörte haben, aber eben auch die Soldaten in Vietnam. Und das in Verbindung mit kritischen Songs über den Krieg in Vietnam, aber auch auf der anderen Seite die Befürworter, die sind genauso zu hören, werden natürlich kritisch begleitet im Begleitbuch. Und als Ausblick für das, was ein Krieg so mit sich bringt Aufnahmen von Vietnam Veteranen, die versucht haben, mit Musik, mit eigenen Songs, die Traumata des Krieges zu verarbeiten. Das fand ich eine sehr spannende Dokumentation. Wir haben jetzt vor kurzem noch eine Box herausgebracht über die Musik des Spanischen Bürgerkriegs. Und aktuell im letzten Jahr, Musik aus dem sogenannten “Forgotten War”, den Krieg in Korea. Das klingt vielleicht ein bißchen makaber, dass es um Kriegsthemen geht, aber ich denke, in Verbindung mit Krieg spielt Musik eine besondere Rolle. Und viele von denen, die in irgendeiner Form in Krieg involviert waren, natürlich die Soldaten selber in erster Linie, haben versucht dann auch über eigene Musik dieses Thema eigens zu verarbeiten. Und, der Höhepunkt, auch der Höhepunkt, was die Massivität angeht, war eine Veröffentlichung vor ein paar Jahren mit dem Titel “Black Europe”, wo es um schwarze Musik in Europa geht. Ich glaube, die älteste Aufnahme war von 1896 und die jüngste von 1926. Insgesamt über 1200 Aufnahmen, die die schwarze Musikgeschichte in Europa dokumentiert. Also, die Musik von afrikanischen Musikern, die damals z.B. in Paris, einer der Hochburgen der Musikproduktion, Aufnahmen gemacht haben, aber auch von afro-amerikanischen Musikern, die in Europa auf Tournee gegangen waren und ebenfalls vor allem in Frankreich Aufnahmen gemacht haben. Da haben sich einige Sammler jahrzehntelang mit beschäftigt und ersteinmal versucht überhaupt diese Aufnahmen, die ja mittlerweile fast 100 Jahre alt sind, zusammen zu tragen und Materialien zu sammeln, Informationen über die Musiker beizutragen, Fotos zu finden. Und das war ein einzigartiges Projekt mit insgesamt 24 CDs und zwei dicken, schweren Büchern. Und für dieses Projekt sind wir damals auch für einen Grammy nominiert worden. Das sind einige der Projekte, die,wie ich finde, aus der großen Menge von guten Veröffentlichungen herausragen.
Du hast schon einige der großen Veröffentlichungen genannt, aber was führt letztendlich zu einem Projekt?
Detlev Hoegen: Das ist eine Gratwanderung. Es gibt nicht die eine Entscheidung, die man bei einem Projekt gefunden hat und dann vielleicht auf das nächste überträgt. Sondern jedes Projekt muss wieder neu betrachtet werden. Natürlich müssen wir darauf achten, dass sich solche Projekte auch finanziell tragen. Das ist heute schwieriger als noch vor 10, 20 Jahren, aber die Antriebsfeder besteht eher in der Frage, ist das spannend, interessiert das jemanden, ist das dokumentationswürdig und passt das auf unser Label? Sind wir sozusagen die richtigen Partner, die so etwas veröffentlichen können. Nehmen wir mal ein Gegenbeispiel. Wenn mir jemand ein großes Projekt über die Geschichte des Jazz in den USA antragen würde, würde ich höchstwahrscheinlich ablehnen, weil wir im Jazz nun überhaupt nicht zu Hause sind. Das hat nichts mit einer Abneigung zu tun, sondern es hat einfach damit zu tun, dass die Geschichte von Bear Family eine andere ist. Und das diejenigen, die hier arbeiten und die Verantwortung tragen für Veröffentlichungen sich auf ganz bestimmte Themen konzentriert haben. Das hat also nichts mit Qualität zu tun, sondern da muss ich sagen, wir müssen irgendwo eine Grenze ziehen. Wir können nicht die vergessene Arbeit von Generationen leisten. Wir müssen uns auch schon auf bestimmte Dinge konzentrieren. Und ansonsten spielt, denke ich mal, einfach die Spannung eine ganz, ganz große Rolle. Das Thema muss wirklich spannend sein. Bleiben wir noch einmal bei dem Thema “Black Europe”, das war ein Thema, das ich nur ansatzweise kannte. Josephine Baker kannte ich auch, aber die meisten Künstler, die auf diesen Aufnahmen vertreten sind, habe ich noch nie gehört im Leben. Werde ich wahrscheinlich darüberhinaus niemals woanders erleben. Und so etwas zu veröffentlichen, auch wenn es nur in einer kleinen Auflage ist, das war schon eine extreme Herausforderung und da bin ich Richard Weize dankbar, dass er das wirklich damals aufgegriffen hatte. Das hatte ich ja auch schon kurz erwähnt. Ich glaube, aus rein finanziellen, betriebswirtschaftlichen Gründen hätte ich meine Finger davon gelassen. Aber, es ist wunderbar, dass ich mich da nicht durchsetzen konnte und, dass das Projekt wirklich veröffentlicht wurde.
Gibt es eigentlich auch Musiker, die nicht mit Euch zusammenarbeiten möchten?
Detlev Hoegen: Das gibt es auch, klar. Aber man muss sich ein bisschen in der Entwicklung der Musikindustrie auskennen, um zu beurteilen, was ist möglich und was nicht. Wir profitieren natürlich davon, dass in den 50er und 60er Jahren Musikerverträge geschlossen wurden, wo der Musiker selbst relativ wenig Einfluss auf das hat, was mit seinem aufgenommenen Material passiert. Gerade in den USA sind damals Verträge geschlossen worden, die dem Musiker quasi alle Rechte absprachen und alles wurde auf die Industrie übertragen. Davon profitiert die Industrie und wir natürlich gleichermaßen. Es gibt aber auch Themen von Musikern, wo es dann einfach schwierig wird, weil es komplizierteste Herangehensweisen über Rechtsanwalts-Konsortien erfordert und da müssen wir dann die Finger von lassen. Das wird immer komplizierter je neuer die Aufnahmen sind. Und das hat auch was damit zu tun, dass die Industrie selber sich verändert hat. Unser Hauptaugenmerk liegt einfach in der Phase der ursprünglichen Entwicklung von amerikanischer, populärer Musik, also 40er, 50er, 60er Jahre. Und was danach kommt, also alles was eigentlich in der Geschichte der Rockmusik passiert ist, so ab Mitte der 60er Jahre, das ist gar nicht mehr unser Aufgabengebiet.
Welche Projekte würdest Du noch gerne verwirklichen?
Detlev Hoegen: Ich habe da schon ein paar Projekte im Kopf. Ich arbeite jetzt mit einem Autor aus San Francisco zusammen, an einem Projekt, das nennt sich “The history of Folk Rock”. Das ist schon ein Thema, das so ein bißchen für uns in die Neuzeit reinragt, auch, weil es so ein bißchen in die 70er Jahre reingeht. Das finde ich ein spannendes Thema, hat mich auch selber in den 60er und 70er Jahren beeinflusst. Dann wird im nächsten Jahr eine 20 CD Box kommen zum Thema Blues aus Memphis und da geht es einfach darum, die gesamte Musikgeschichte von der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis in die späten 60er hinein zu dokumentieren mit allen Aufnahmen, die in Memphis entstanden sind, bzw. von Memphis Musikern außerhalb von Memphis, abgesehen von dem Sun Katalog, den wir schon viel, viel tiefer ausgeschlachtet haben. Das sind dann auch schon wieder 550, 560 verschiedene Aufnahmen und da arbeiten wir jetzt dran zusammen mit einem Autor, einem Experten, einem Historiker aus England, der schon fleißig dabei ist, die einzelnen Musikerbiographien zu schreiben und die Songs zu bewerten. Das ist ein Projekt, was jetzt auch schon seit gut einem Jahr in der Mache ist. Also, da gibt es schon einige Projekte, ich würde gerne eine Gesamtretrospektive über den Musiker Steve Young machen. Ich finde, er ist einer der wundebarsten Sänger der amerikanischen Country Geschichte, toller Typ. Ist schwierig, weil es da eben auch rechtliche Hürden gibt. Andere Projekte, die mir noch vorschweben wäre vielleicht mal etwas über Dough Sahm zu machen, bekannt hier vor allem über das “Sir Douglas Quintet” und den alten Pophit “Mendocino”. Man kann so viele Themen aufgreifen und so viele Themen werden auch einfach in den USA ignoriert, dass ich denke, daran mangelt es nicht.
Ihr habt neben Country auch zahlreiche Schlager Boxen gemacht, dazu auch solche Sachen wie eine umfangreiche Martin Böttcher Box. Wie kam es dazu?
Detlev Hoegen: Ich glaube, diese älteren Projekte, die Du jetzt ansprichst, die wurden in der Regel in den 90er Jahren veröffentlich, die haben natürlich was mit Richards persönlichen Vorlieben zu tun. Und neben Country Musik war für Richard in der Zeit der 60er Jahre Schlager eben sehr prägend und es gab ja auch immer eine Verbindung zwischen Schlagermusik in Deutschland und Country Musik in den USA. Diese Verbindung hat er aufgezeigt und hat ja auch ganz, ganz viele Sachen dazu dokumentiert. Zwar weniger in aufwendigen Boxen, aber in vielen Einzel-Cds, als die deutsche Industrie eben auch daran überhaupt kein Interesse hatte. Ich denke mal, dass die Bandbreite ein wichtiger Faktor ist für die Überlebensgeschichte von Bear Family. Und Soundtracks ist ein ganz anderer Markt, als der Markt für Country Musik und die Geschichte von Bonanza und die Geschichte der Martin Böttcher Soundtracks und viele andere deutsche Filmkomponisten, ist durchaus ein Thema auch heute noch. Ich denke, dass das durchaus ins Bear Family Repertoire reinpasst.
In Zeiten, in denen immer weniger CDs verkauft werden, hat Bear Family noch eine Zukunft?
Detlev Hoegen: Ich denke schon, dass wir eine Zukunft haben. Vielleicht nicht für alle Ewigkeiten, keine Ahnung, ich bin kein Prophet. Aber wenn ich mir die Entwicklung der letzten 20 Jahre anschaue, seit es im digitalen Bereich extreme Veränderungen gegeben hat, da muss ich sagen, dass wir eigentlich besser dastehen, als vor 10 Jahren erwartet. Das hat sicherlich damit zu tun, dass der Markt, den wir bedienen, ein komplett anderer ist als der, der sich über Streaming und Downloads im digitalen Bereich bedient. Wir veröffentlichen eben keine aktuellen Aufnahmen. Wir sind nicht im Pop Bereich tätig. Sondern wir sind Archivare, wir sind Bewahrer in einer gewissen Weise. Und für uns und unsere Veröffentlichungen gilt, dass es stets um das Gesamtprojekt geht. Also auch das Gesamtprodukt in dem Fall. Ich denke, viele von den Aufnahmen, die wir heute veröffentlichen kann man, wenn man sich bemüht, auch im Netz finden. Entweder legal oder illegal, aber die Art und Weise, wie wir sie zusammen fassen mit Text und Bild und CDs mit 60seitigem Booklets veröffentlichen und Boxen mit mehreren hundertseitig dicken Büchern, das ist schon ein ganz anderes Thema, als das, was im Alltagsgeschäft digital heute läuft.
Wer sind eigentlich Eure Kunden, habt Ihr da Informationen?
Detlev Hoegen: Wir wissen schon was, das hat viel damit zu tun, dass wir ja an eine ganze Reihe von Kunden direkt verkaufen. Also Bear Family hat ja ein zweites Standbein, das ist der Mailorder, der seit einigen Jahren dann mehr oder weniger zum Online Shop weiterentwickelt wurde. Wo wir dank meines Partners, Michael Ohloff, sehr gut aufgestellt sind. Das ist eine Riesenaufgabe da mit unseren Veröffentlichungen und auch mit den anderen Produkten, die wir vertreiben, im google ranking, was ja heute ganz, ganz wichtig ist, möglichst weit oben zu stehen. Das ist eine der Strategien, die uns das Überleben erleichtert. Und das andere ist, dass wir einfach versuchen über das, was es noch an Handel gibt, überall präsent zu sein. Wir nutzen natürlich die Market Places von bestimmten großen Plattformen weltweit, wir haben auch noch ein Vertriebssystem in den USA. Wir vertreiben unsere Produkte in Deutschland jetzt wieder selbst. Wir sind über Exporteure auch in Läden in Skandinavien oder in England, eigentlich weltweit zu finden. Insgesamt gesehen wird der Markt natürlich kleiner werden. Und das Publikum, das wir bedienen wird immer älter. Das denke ich mal ist einfach der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu schulden, also der gesellschaftlichen und der technologischen Entwicklung. Und jemandem, der heute 20 ist, davon zu überzeugen, dass er ein physisches Produkt kaufen soll, wo eine CD drin liegt, das ist glaube ich nahezu unmöglich. Da können wir natürlich noch ein bißchen was reißen, in dem wir spannende Sachen auch auf Vinyl veröffentlichen, aber die CD Boxen, das spricht schon ein Publikum an, das in einem Altersbereich zwischen 50 und 80 liegt. Die meisten unserer Kunden sind wahrscheinlich zwischen 55 und 70 Jahre alt.